von gk 16.10.2023 17:00 Uhr
Eva Hatzis-Willeit war Volksschullehrerin in Olang und wurde am 13. Dezember 1932 geboren. Sie besuchte als Kind die faschistische, rein italienischsprachige Volksschule und erhielt in den verbotenen Katakombenschule geheimen Deutschunterricht. Im folgendem Interview erzählt sie über ihre beeindruckenden Kindheitserinnerungen.
Kinder in einer Südtiroler Katakombenschule (Bild: Effekt Verlag).
Frau Willeit, was fällt ihnen ein, wenn Sie an die Zeit des Faschismus in Südtirol zurückdenken?
Unterdrückung. Das ist das erste, was mir zu dieser Zeit einfällt. Dazu weiß ich ein schönes Beispiel. Ein Cousin von mir hatte in der „pagella“ (Zeugnis) drei Jahre lang Fünfer, weil mein Onkel nicht bereit war, die fünf Lire für die „tessera“ (Mitgliedskarte) der Balilla (faschistische Jugendorganisation, vergleichbar mit der Hitlerjugend) zu bezahlen. Nach einiger Zeit hat dann die Tante die fünf Lire eingezahlt und von einem Tag auf den anderen hatte er in allen Fächern „lodevole“ was auf Deutsch lobenswert heißt.
Wie ging es Ihnen in der italienischen Schule?
Das erste Jahr in der italienischen Schule war sehr schlimm. In einer Klasse waren an die 40 Kinder. Man muss sich vorstellen, ein Erstklässler, der zu Hause alles nur deutsch gehört hat und der auf einmal in die „walische“ Schule gehen muss – wir haben ja alle nichts verstanden. Aber da wir eine brave Lehrerin hatten, die immer Wörter suchte, die dem Deutschen sehr ähnlich waren, und sie immer, wenn sie ein italienisches Wort gesagt hat, mit dem Stock auf den Gegenstand gezeigt hat, den sie meinte, fiel es uns etwas leichter. Man hat nach und nach gelernt […].
Wie waren die Lehrer in der italienischen Schule?
Die Lehrer zu dieser Zeit waren sehr brutal. Die haben die Kinder aus purem Privatvergnügen geschlagen. Auch ich hatte eine Lehrerin, die am Morgen immer etwas auf Italienisch sagte, was wir zwangsläufig nicht verstehen konnte, und wenn niemand geantwortet hat, was sie von vornherein schon wusste, hat sie willkürlich einen Schüler an den Haaren zur Tafel geschleift und ihn dann dort verprügelt. Wir waren alle eingeschüchtert bis aufs Letzte und sind auch nicht mehr gerne in die Schule gegangen. Man konnte sich auch nicht richtig verständigen. Ich weiß einmal, da musste ich dringend auf die Toilette, aber ich wusste nicht, wie ich es auf Italienisch sagen sollte, so habe ich in die Hose gemacht und anschließend hat sie mich verprügelt. Die Lehrer, die uns unterrichtet haben, konnte alle nur gebrochen Deutsch und sie haben uns dann immer ausgehorcht, was wir zuhause machen. Immer wieder ist es dann vorgekommen, dass sich einige Kinder verraten haben und die „fasci“ (Faschisten) zu ihnen nach Hause gekommen sind.
Mussten Sie von der Schule aus an irgendwelchen faschistischen Feiern teilnehmen?
Ja, da gab es den sogenannten „Sabato Fascista“. Am Samstag Nachmittag um 14.00 Uhr mussten sich die Kinder in der faschistischen Uniform treffen und dort faschistische Lieder lernen.
Gab es ein einschneidendes Erlebnis in der Schule, welches Sie nie vergessen werden?
Ja, das gab es. Neben mir ist ein Mädchen gesessen, das sich sehr schwer tat und das einen Sprachfehler hatte. Am ersten Schultag musste die Lehrerin begrüßt werden und eben wegen diesem Sprachfehler sagte sie anstatt „maestra“ (Lehrerin) „minestra“ (Suppe). Daraufhin fing die Lehrerin an zu schreien und das Mädchen zu beschimpfen. Dann habe ich ihr eingesagt und ihr erklärt, dass sie „maestra“ sagen muss. Das hat die Lehrerin gehört und ist auf mich zugegangen und sagte auf Italienisch zu mir, dass ich meine Jause herausnehmen soll. Dann hat sie mir mein Pausenbrot genommen, weil ich diesem Mädchen auf Deutsch eingesagt habe. In der Pause haben wir kein Wort Deutsch reden dürfen. Wir sind herumgesessen und die Lehrer sind zu zweit oder zu dritt im Pausenhof hinauf- und hinuntergegangen und haben kontrolliert, ob wohl niemand deutsch redet.
Können Sie behaupten, dass Sie damals gut Italienisch gelernt haben?
Nein, mitnichten. Denn zu dieser Zeit konnten die Kinder weder anständig Deutsch noch Italienisch. Nach einigen Jahren wurden dann die deutschen Sprachkurse eingefügt, dann wurde die deutsche Sprache wieder gepflegt.
Kanonikus [Michael] Gamper musste die Lehrpersonen aus dem Boden stampfen und so wurde alles genommen, was nur irgendetwas mit Kindern zu tun hatte. Es gab sehr viele Kinder, die nicht Deutsch konnten und wie schon gesagt, Italienisch auch nicht, und so wären alle in der Unterstufe gewesen. In der Mittelstufe ein paar und in der Oberstufe niemand. So wurden Tests gemacht und wer ein bisschen was konnte, ist gleich in die Mittelstufe gekommen, damit in der Unterstufe so wenig Kinder wie möglich sind. So ist es mir auch gegangen. In den Sprachkursen durfte man nur lesen und schreiben, gerechnet durfte nicht werden, das war verboten. Die werden sich schon gedacht haben, man könnte zuviel wissen und zuviel können. Der Direktor ist den ganzen Tag nur von Klassentür zu Klassentür gegangen, um zu lauschen, ob wohl keiner der Lehrer Rechnen unterrichtet.
Setzten sich Ihre Eltern dafür ein, dass Sie Deutsch lernen?
Meine Mutter ist Innsbruckerin und die hat natürlich auf Biegen und Brechen gewollt, dass ihre drei Kinder Deutsch lernen. Sie hatte eine Freundin, welche Lehrerin war, beauftragt, zu uns nach Hause zu kommen und uns Deutsch zu unterrichten. Da waren wir drei Mädchen und noch einige Nachbarskinder. Dann ist die einmal Vormittag, einmal Nachmittag, einmal am Abend zu uns gekommen, damit ja niemand Verdacht schöpfen könnte, dass hier vielleicht geheimer Unterricht abgehalten wird. Dann wurden sogar am helllichten Tage die Jalousien und die Türe verschlossen, damit von außen kein Mensch sehen konnte, was bei uns in der Stube gemacht wurde. Zur Tarnung hat sie einmal die Milchkanne mitgehabt, einmal die Einkaufstasche. Wir sind alle um den Tisch herumgesessen und haben dort gelesen und geschrieben. Zur Schreiben haben wir eine kleine Schiefertafel verwendet und die Lehrerin hat dann angesagt, wie zu schreiben ist. Sobald wir etwas geschrieben hatten, wurde das Schwämmchen, welches an einem Faden an der Schiefertafel hing, in eine Schüssel mit Wasser getaucht und das Geschriebene sofort wieder ausgelöscht. Denn falls jemand gekommen wäre, wären wir zumindest nicht beim Schreiben erwischt worden.
Sind Sie einmal erwischt worden?
Nein, erwischt wurden wir nie, aber meine Mutter ist immer an der Haustür gestanden und hat aufgepasst, weil ständig Spitzel unterwegs waren.
Fortsetzung folgt …
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Befanafeier zur Faschistenzeit in Kiens (Foto: Effekt Verlag aus Archiv Karl Pfeifhofer).
Das Interview führte Miriam Brunner und der Auszug stammt aus dem Buch „Die Deutschen brauchen keine Schulen“ herausgegeben von Dr. Margareth Lun.
Margareth Lun (Hrsg.): „Die Deutschen brauchen keine Schulen“: Neumarkt a.d. Etsch: Effekt! 2020.
ISBN: 9788897053699
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Author: Jonathan Cummings
Last Updated: 1702003082
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